Die Punk-Naht – oder: Bevor die Sicherheitsnadel zum Modeaccessoire verkam
Kaum eine Jugendbewegung wurde so verkannt wie die Punks. Dabei war das alles eigentlich gar nicht neu. Erfahren Sie hier aus erster Hand, worum es wirklich ging!
Vielleicht waren wir die ersten, die von Anfang an realisierten, daß wir mißverstanden würden: So wie die Christen, die wirklich ganz konkret nach der Bergpredigt leben wollten, jahrhundertelang als Ketzer verbrannt wurden. So wie die Anarchisten, die tatsächlich das Zarenreich gestürzt hatten, vom zu spät gekommenen und vollkommen lebensfremden Psychopathen Lenin alle umgebracht wurden, weil Praktiker nicht in den Traum vom Arbeiterstaat paßten. So wie die Schlurfs vergast und dann schnell vergessen wurden, weil sie sich als Jugendliche trauten, wozu die Erwachsenen zu feige waren. Und so wie die letzten echten Hippies, vergewaltigt, ermordet und verjagt wurden, um ihre revolutionären Ideen möglichst schnell als Glitzerhemden und Blümchen-Deko zu verniedlichen.
Nein, wir waren keine No-Future-Generation, auch wenn die Medien uns dieses Schlagwort gerne aus dem Zusammenhang gerissen überstülpten. So wie sie die versoffenen Massen gerne mit Bildern von betrunkenen Punks unterhielten. Uns war das egal. Wir standen zu dem, was wir machten, statt es verlogen zu verstecken.
Seit dem Krieg (und wahrscheinlich auch schon lange davor) versuchten sparsame Hausfrauen möglichst unauffällig ihre Kleider zu reparieren, Verschlissenes kreativ umzugestalten, und jedes Stück Stoff irgendwie weiter zu verarbeiten. Als Sohn einer Schneiderin, der schon im Kleinkindalter für seinen Teddybären Kleidung genäht hatte, konnte ich in Jugendjahren selbstverständlich auch perfekt unsichtbare Reparaturnähte anbringen. Aber wozu verstecken, was doch gezeigt werden soll? Reparieren ist gut. Warum sollen wir das heimlich machen? Und so wurden sichtbare Nähte, Klebeband und Sicherheitsnadel zum politischen Statement.
Die Hippies hatten die konsumsüchtigen Massen sehr treffend als „Plastik-People“ bezeichnet und damit schon vor Jahrzehnten eine beängstigende Entwicklung aufgezeigt, die wohl langfristig die meisten Spuren des Anthropozän bilden wird. Interessant, daß die Plastik-People späterer Jahrzehnte mit Hippies gerade Kunstfaserhemden (also deren sinnentleerte Mainstream-Vermarktung) assoziieren.
Ebenso wurden die Ideen des Punk ins Gegenteil pervertiert und neue Kleidung künstlich abgescheuert, absichtlich zerrissen und dann teuer verkauft. Selbst als einige Dokumentarfilmer zeigten wie gesundheits- und umweltschädlich diese blödsinnige, künstliche Alterung von Jeans ist, wurde die Produktion oder eigentlich besser Destruktion einfach nur weiter weg verlegt. Weil was am anderen Ende der Welt passiert, geht mich ja nichts an, auch wenn ich den Schwachsinn durch mein Geld unterstütze und damit logischerweise beauftrage.
Bis heute werde ich von Leuten mit zerschlissen-gekauften Hosen immer wieder verwundert gefragt, warum ich mit so hässlichen, geflickten Hosen rumlaufe. Wer lieber sein Geld für Unnötigkeiten ausgeben will, soll damit glücklich werden.
Ich lebe lieber auf ökologisch-leichtem Fuß.